Eine andere Perspektive

Ich möchte mich der oft geführten Diskussionen zum Begriff „Wesentliche Erweiterung (bestehender) elektrischer Anlagen“ im ETG 1992 [1] einmal von einer anderen Seite annähern. Nämlich durch eine Betrachtung des Inhalts des § 6 ETG 1992.

Dies deswegen, weil aus meiner Erfahrung viele Diskussionen in der Praxis, wann bzw. ob eine wesentliche Erweiterung einer elektrischen Anlage vorliegt, eng damit verbunden sind, welche Maßnahmen der Gesetzgeber für den Fall (mindestens) vorsieht (vorschreibt), dass es sich tatsächlich um eine wesentliche Erweiterung handelt.

Die Betrachtung der Erweiterung einer elektrischen Anlage unter dem Aspekt, dass es sich um eine wesentliche Erweiterung handelt, hilft aus meiner Sicht dabei, klar zu erkennen, welche Maßnahmen dabei, aus der Sicht des Elektrotechnik-Gesetzgebers, gefordert werden. (Darüber hinaus sind natürlich auch die Anforderungen aus anderen Rechtsmaterien, z. B. dem Landesbaurecht und auch die jeweils geltenden Anschlussbedingungen des Verteilungsnetzbetreibers zu beachten auf die hier nicht näher eingegangen werden soll.)

Anlagen

Zurück zum Elektrotechnikgesetz (ETG 1992).

Im § 6(1) ETG 1992 können wir lesen:

„§ 6. (1) Wer wesentliche Änderungen oder Erweiterungen an bestehenden elektrischen Anlagen oder elektrischen Betriebsmitteln ausführt, hat dabei jene verbindlichen elektrotechnischen Normen und verbindlichen elektrotechnischen Referenzdokumente, welche im Zeitpunkt des Ausführungsbeginnes solcher Arbeiten in Kraft stehen, einzuhalten. Hiebei sind auch bestehende Anlagenteile mit unmittelbarem funktionellen Zusammenhang insoweit an diese Bestimmungen anzupassen, als dies für die einwandfreie Funktion der elektrischen Schutzmaßnahmen erforderlich ist.“

§ 6 (1) beschreibt im letzten Satz den Umfang der gesetzlich geforderten Auswirkung von wesentlichen Erweiterungen für bestehende Anlagenteile.

Aus diesem Satz kann man zunächst einmal sehen, dass nicht alle Anlagenteile (also nicht die gesamte bestehende Anlage) im Zuge von wesentlichen Erweiterungen an neue elektrotechnische Bestimmungen anzupassen sind, sondern nur jene, die einen „unmittelbaren funktionellen Zusammenhang“ mit dem erweiterten Anlagenteil haben.

Eine weitere Einschränkung der gesetzlich mindestnotwendigen Anpassung entsteht dadurch, dass die Anpassung der bestehenden Anlagenteile mit unmittelbarem funktionellen Zusammenhang an die neuen Bestimmungen nur insoweit durchzuführen ist, „als dies für die einwandfreie Funktion der elektrischen Schutzmaßnahmen erforderlich ist“.

Der Gesetzgeber fordert demnach „nur“, dass nach Abschluss der Erweiterungsarbeiten, auch in den bestehenden Anlagenteilen (in den neuen sowieso) die Schutzmaßnahmen weiterhin einwandfrei funktionieren, bzw. soweit an die neuen verbindlichen elektrotechnischen Normen und verbindlichen elektrotechnischen Referenzdokumente angepasst werden, dass diese einwandfrei funktionieren. Der Gesetzgeber geht dabei natürlich davon als, dass der Betreiber der Anlage die Anforderungen des § 3 (1) hinsichtlich Instandhaltung einhält. Sollte dies nicht der Fall (gewesen) sein, kann es anlässlich der Durchführung von Erweiterungen zu Notwendigkeiten der Instandhaltung des bestehenden Anlagenteils kommen. (Dies kann jedoch - weil in starker Anhängigkeit vom Anlagenzustand - hier nicht näher diskutiert werden.)

Wie im praxisorientierten Kommentar zum Elektrotechnikrecht [2] angegeben, ist hier die Grenze, inwieweit Anpassungen vorzunehmen sind, im Einzelfall zu ziehen. Auch hinsichtlich der Beurteilung inwieweit ein unmittelbarer funktioneller Zusammenhang zwischen der bestehenden Anlage und dem durch wesentliche Erweiterung hinzugefügten besteht, gibt der Kommentar im Fachbuch auf Seite 19 einen Hinweis (z. B. Anspeisung des erweiterten bestehenden Anlagenteils über das gleiche Schutzorgan).

Wenn man nun diese Anforderungen (die natürlich als gesetzliche Mindestanforderungen zu verstehen sind) technisch betrachtet, so geht es hier „nur“ darum, dass nach durchgeführter wesentlicher Erweiterung eine Anlage entsteht, in der einerseits im neuen Anlagenteil die verbindlichen elektrotechnischen Normen und verbindlichen elektrotechnischen Referenzdokumente eingehalten werden, welche im Zeitpunkt des Ausführungsbeginns dieser Arbeiten in Kraft stehen (standen) und andererseits im „Altbestand“ – falls notwendig – Anpassungen an die aktuellen Bestimmungen ausgeführt werden, damit die elektrischen Schutzmaßnahmen einwandfrei funktionieren. Weitere Anforderungen stellt der Gesetzgeber im § 6 nicht. (Schutztechnisch betrachtet, bedeutet diese Forderung ohnehin eine Selbstverständlichkeit!)

Eine gewisse Unschärfe in der Interpretation des ersten Absatzes des § 6 besteht leider dadurch, dass in den Anforderungen auf verbindliche elektrotechnische Normen und verbindliche elektrotechnische Referenzdokumente Bezug genommen wird, und nicht auch auf die in der Elektrotechnikverordnung 2020 angeführten sogenannten „kundgemachten Normen“. Diese Unschärfe sollte im Rahmen der in den nächsten Jahren sicherlich vorgesehenen Neuauflage des Elektrotechnikgesetzes klargestellt werden. Bis dahin ist aus meiner Sicht jedenfalls davon auszugehen, dass hier auch die Anforderungen von kundgemachten elektrotechnischen Normen gemeint sind; natürlich unter Einschluss der in der ETV 2020 vorgesehenen Möglichkeiten von kundgemachten elektrotechnischen Sicherheitsvorschriften abzuweichen.

Betriebsmittel als Teil der Anlage

Im Zusammenhang mit dem Begriff „wesentliche Erweiterungen von bestehenden elektrischen Anlagen“ steht natürlich auch der Begriff der „wesentliche Erweiterung von elektrischen Betriebsmitteln“.

Bei der Durchführung von Erweiterungen von bestehenden elektrischen Anlagen wird es in einigen Fällen auch zu „Eingriffen“ in bestehende elektrische Betriebsmittel kommen; damit meine ich in erster Linie das Eingreifen in bestehende Verteilungen (zum Beispiel in Schaltgerätekombinationen in der Funktion von Zählerverteilern, Hausanschlusskästen oder Installationsverteilen).

Hier muss der Errichter der Erweiterung jedenfalls beurteilen, ob es sich bei den durchzuführenden Erweiterungen) um wesentliche Änderungen oder Erweiterungen des Betriebsmittels (z. B. des Verteilers, der Verteiler) handelt und entsprechend dieser Beurteilung handeln.

Zusammenfassung

Zusammengefasst bedeutet dies für mich, dass bei der Ausführung von Erweiterungen eine technisch verantwortungsvolle und wirtschaftlich vertretbare Vorgangsweise (die ja in jedem Fall gemäß ETG 1992 und ETV 2020 [3] für den Errichter verpflichtend ist), d.h. Einhaltung der verbindlichen, der kundgemachten und auch der sonstigen anerkannten Regeln der Technik für die Ausführung von Erweiterungen an bestehenden elektrischen Anlagen, ohnehin dazu führt, dass die gesetzlichen Mindestanforderungen des ETG 1992 eingehalten werden.

Die rein juristische Frage, ob es sich dabei tatsächlich um eine wesentliche Erweiterung handelt, tritt dabei aus meiner Sicht in den Hintergrund.

Literaturhinweise

[1] BGBl. 106/1993; Elektrotechnikgesetz 1992, in der Fassung BGBl. I/204/2022

[2] Ludwar, G., Mörx, A., Elektrotechnikrecht, Praxisorientierter Kommentar; OVE, Wien 2021, ISBN 978-3-903249-14-1

[3] BGBl. II/308/2020; Verordnung der Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort über Sicherheit, Normalisierung und Typisierung elektrischer Betriebsmittel und elektrischer Anlagen (Elektrotechnikverordnung 2020 – ETV 2020)

[4] Mörx, A., Fachbeiträge zur Elektrotechnikverordnung 2020 gemeinsam mit dem Originaltext der Verordnung Download (1 MB)

 

Autor: Alfred Mörx, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein. 

 

 

 

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