Niederspannungs-Schutztechnik "Weiter-Aus-Bildung" neu gestalten - ein Vorschlag zur Praxis
Spätestens seit der im Jahr 2014 von Konrad Paul Liessmann veröffentlichten Streitschrift mit dem Titel: "Geisterstunde; Praxis der Unbildung"[1] sind u.a. die Unterschiede zwischen Bildung und Aus- bzw. Weiterbildung wieder in den Fokus der Öffentlichkeit getreten. Vor allem durch die in vielen Fällen bestehende Begriffsverwirrung zwischen "Bildung" und "Ausbildung"; ich spreche im zweiten Fall gerne auch von "Weiter-Aus-Bildung".
Ich durfte im Jahr 2014 an anderer Stelle [2] schon ganz allgemein zur Gestaltung von Weiterbildung Stellung nehmen. Hier, in diesem Beitrag, interessiert mich heute vor allem die Gestaltung von Weiter-Aus-Bildung im Fachgebiet der Schutztechnik in elektrischen Niederspannungsanlagen.
In Gesprächen höre ich immer öfter: "Wie soll ich das Schaffen? Die Flut an technischen Reglen nimmt ständig zu. Die Geschwindigkeit der Aktualisierung des Normenwerks nimmt ständig zu. Wo erhalte ich die notwendigen Informationen, was es überhaupt für Standards für mein aktuelles Problem oder mein derzeitiges Arbeitsgebiet gibt?"
Ich nehme es vorweg: Allgemeingültige Antworten gibt es auf diese Fragen keine. Auch das ist meiner Ansicht nach ein Charakteristikum unserer hochkomplexen "fachlichen Umstände", in denen wir leben. Allgemein lässt sich viel reden, aber nur Weniges sagen, das dann auch konkret angewendet werden kann.
Es gibt jedoch Möglichkeiten sich den Antworten auf diese Fragen anzunähern. Insofern ist auch dieser Beitrag ein Versuch der Annäherung und kein fertiges Rezept. "Rezepte" funktionieren in unserer komplexen, stark vernetzten Welt eher selten.
Ein Beispiel: Vergleicht man die Aussagen in den einschlägigen anerkannten Regeln der Technik für die Errichtung von Niederspannungsanlagen in Österreich aus dem Jahr 1989 mit jenen aus dem Jahr 2010, z. B. hinsichtlich der Ausschaltbedingungen für die Anwendung der Schutzmaßnahme Nullung, so stellt man natürlich - auf den ersten Blick - Unterschiede fest (m-Faktoren, Ausschaltzeiten explizit eingeführt, ...).
Jedoch: Der Schutztechnische Kern in diesem Punkt hat sich in diesem Zeitintervall nicht verändert. Es wurde früher und auch heute eine Bedingung dafür formuliert, dass bei Auftreten eines Körperschlusses, der Widerstand (die Impedanz) der Fehlerschleife so klein sein muss, dass es zur Ausschaltung des fehlerbehafteten Stromkreises innerhalb einer (konventionell vereinbarten) Zeit kommt.
Diesen Schutztechnischen Kern gilt es wirklich zu verstehen, einmal verstanden zu haben. Damit reduziert sich der gesamte "Suchaufwand" auf das Suchen der jeweils geltenden Formel (Bedingung) die zum Zeitpunkt der Errichtung dieses Stromkreises gilt (gegolten hat).
In diesen, von mir hier erstmals in dieser Art in die Fachliteratur eingeführten Begriff des Schutztechnischen Kerns, fallen natürlich auch noch viele weitere Punkte. Zu Beispiel der Zusammenhang zwischen den Ausschaltbedingungen und dem Spannungsabfall im jeweiligen Stromkreis.
Diesen Schutztechnischen Kern gilt es zu verstehen bzw. immer wieder aufzufrischen und natürlich dahin gehend zu überprüfen, ob nicht neue Punkte (aufgrund technischer Entwicklungen) in den Kern aufgenommen werden müssen.
Beherrscht man "seinen" Schutztechnischen Kern, dann kann auch gezielter nach weiteren Informationen, Fachliteratur, anerkannten Regeln der Technik, Workshops und Seminarveranstaltungen gesucht werden. Und bei dieser Suche kann man sich auch durch andere Personen helfen lassen, weil man weiß, wonach man sucht!
Was gehört Ihrer Meinung nach zum "Schutztechnischen Kern" Ihres Arbeitsfeldes?
Literaturhinweise:
[1] … Liessmann, Konrad, Paul; Geisterstunde, Die Praxis der Unbildung; Paul Zsolnay Verlag, Wien 2014; ISBN: 978-3-552-05700-5
[2] … Mörx, Alfred, Interview im Wirtschaftsblatt im Jänner 2014
[3] … Ludwar, G., Mörx, A., Elektrotechnikrecht, Praxisorientierter Kommentar; ÖVE, Wien 2021, ISBN: 978-3-903249-14-1
[4] … Henschl T., Mörx A.; Elektroinstallation in Gebäuden, Neuauflage; Österreichischer Wirtschaftsverlag; 2012; ISBN: 3-85212-116-5
Autor: Alfred Mörx, 1110 Wien; E-Mail: