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Heute einmal ein ganz anderes Thema: Die Bedeutung von Sprache in Wissenschaft und technischer Normung. Der Titel dieses Textes ist von Ludwig Wittgenstein inspiriert [1].

Begonnen hat es schon vor einigen Jahren, als ich einen Artikel von Stefan Klein in der Frankfurter Allgemeinen [2] entdeckte; sein Titel: „Dümmer auf Englisch“.

Ich studierte den Artikel zu einer Zeit in der ich mich - wieder einmal - intensiv bemühte, einen Sachverhalt der elektrotechnischen Normung aus der englischen Sprache so „auf Deutsch“ darzustellen, dass er auch von Praktikern in Österreich gut verstanden werden kann.

Klein tritt in seinem Artikel u.a. dafür ein, dass die Sprache in Seminaren und Vorlesungen Deutsch bleiben sollte. Darüber hinaus soll es verstärkt Veröffentlichungen in deutscher Sprache geben, „die Zusammenhänge aufzeigen, aufregende Ideen vermitteln und neue Konzepte umreißen“. Gleichzeitig erkennt Klein an, dass sich „die Entwicklung, dass Natur- und zunehmend auch Geisteswissenschaften im internationalen Kontakt nur noch auf Englisch kommunizieren“ nicht mehr rückgängig machen lässt.

Eine Fortsetzung fand das Thema in meinen Gedanken, nachdem ich Ende 2024 eine Veröffentlichung [3] las, in der darauf hingewiesen wird, dass drei Viertel (!!) der Weltbevölkerung KEIN Englisch spricht. Englisch wird demnach nur von einer Minderheit der Weltbevölkerung gesprochen (und verstanden).

Gleichsam als „Abrundung in die Geschichte“ richtete ich meinen Blick noch weiter in die Vergangenheit, wo schon in Überlieferungen über die Aussagen von Konfuzius [4] auf die grundlegende Bedeutung von Sprache für das Verstehen hingewiesen wurde:

„Wenn die Worte nicht stimmen, dann ist das Gesagte nicht das Gemeinte. Wenn das, was gesagt wird, nicht stimmt, dann stimmen die Werke nicht. Gedeihen die Werke nicht, so verderben Sitten und Künste. Darum achte man darauf, dass die Worte stimmen. Das ist das Wichtigste von allem.“

Alles ausschließlich in Englisch?

Zunächst zurück zu meinen eigenen Erfahrungen.

Ich halte die fachbegrifflich sorgfältige Umsetzung (nicht nur die Übersetzung) von technischen Texten aus der englischen Sprache in ein „verstehbares Deutsch“ für sehr wichtig. Dahinter steht meine eigene Erfahrung, dass das, was für mich in meiner Muttersprache gut verständlich zu lesen ist, am ehesten mein Verstehen anregt; und auch mein Interesse am Weiterlesen und Weiterdenken.

Dies gilt besonders dann, wenn ich neues, mir bisher Unbekanntes lernen möchte. Wenn ich nicht als ersten Schritt die Barriere einer mir wohl geläufigen, jedoch in ihrem Kern fremden Sprache, überwinden muss, um mich intensiv mit dem Inhalt des Textes zu beschäftigen.

Und das ist jedoch für mich seit vielen Jahren in Naturwissenschaft und Technik und zunehmend auch in den Geisteswissenschaften der „Normalzustand“. In diesen Fällen steigt jedoch mein Aufwand für Verständnis des Neuen und auch für die „Übersetzungsleistung“ im engeren Sinn. Steigender Aufwand bedeutet auch weniger Zeit und Kraft für eigenes Denken und eigene Projekte.

Aus der Geschichte der Physik

Bei meinen Recherchen zu diesem Thema fand ich auch einen kleinen Beitrag von Kai Krause [5].

Krause weist auf die Schwierigkeit hin, für ein bestimmtes Wort in der einen Sprache kein entsprechendes Wort in der anderen Sprache zu finden, weil es das Wort, das zur gleichen Auffassung führt, nicht gibt - eine Übersetzung mit einem in der anderen Sprache nur ähnlichen Wort und ähnlicher Auffassung kann jedoch zu einem völligen Missverständnis führen.

Er dokumentiert dies an der Übersetzung des deutschen Wortes „Unbestimmtheitsrelation“ [6] in die englische Sprache als „the uncertainty principle“. „Unbestimmt“ wurde hier zu „unsicher“ oder „ungewiss“; physikalisch und wissenschaftsphilosophisch unterschiedliche Begriffe.

Dieses Beispiel macht verständlich, dass - obwohl die weltweite Gemeinschaft der Wissenschaftler sich offenbar auf die Sprache Englisch als Verständigungssprache geeinigt hat - die Übertragung der wissenschaftlichen Auffassungen und auch die Inhalte von Normen in die jeweilige(n) Landessprache(n) aufwändig, mühsam und fehleranfällig ist; manchmal sogar sinnstörend fehleranfällig ist.

Dessen muss man sich bewusst sein, wenn bekannt ist, in welcher Sprache ein Text verhandelt, diskutiert, abgestimmt und aufgeschrieben wurde.

Vereinfachte Sprache und Muttersprachler

Viele englischen Texte, auch viele Konferenzbeiträge und Normentexte werden von Personen erarbeitet, die die englische Sprache in vereinfachter Form benutzen.

Dadurch werden vor allem Texte und Erklärungen, die von einem Autor/einer Autorin, oder einem Team, deren Muttersprache nicht Englisch ist, oft nur mit großer Mühe fachgerecht übersetz- und verstehbar. (Ein wichtiger Ansatzpunkt für jene, die sich mit der fachbegrifflich sorgfältigen Umsetzung von technischen Texten beschäftigen.)

Darüber hinaus zeigt meine Erfahrung, dass in Diskussionen oft nur das ausgedrückt wird, was in der fremden Sprache ausgedrückt werden kann. Und nicht das, was in der Muttersprache der Person ausgedrückt werden könnte! Auch dadurch gehen viele fachlich bedeutungsvolle Beiträge (und darauf aufbauendes Verständnis) verloren.

Ebenso schwierig, wenn nicht noch schwieriger ist es, Texte „wirklich zu verstehen“, die von (englischen) Muttersprachlern verfasst werden, die sich im wissenschaftlich-technischen Wortschatz des Fachgebietes ausdrücken und dabei (stillschweigend) voraussetzen, dass dem Leser/der Leserin die Auffassungen hinter den Wörtern ohnehin bekannt sind. Dies, obwohl in vielen Fällen diese Auffassungen und Begriffe sprachübergreifend sogar unter Fachpersonen nicht eindeutig geklärt sind! In diesen Fällen benutzt der Autor/die Autorin neben dem fachspezifischen Wortschatz auch (stillschweigend) die ihm/ihr (weil Muttersprache) bekannten kulturell-historischen Auffassungen.

Vorläufiger Ausblick

Wenn wir uns nicht bemühen, die Zahl der „fachbegrifflich sorgfältigen Umsetzungen“ von technischen Texten aus der englischen Sprache in das Deutsche deutlich zu erhöhen (wohl gemerkt nicht nur die „Übersetzungen“, denn bei der Zahl der Übersetzungen aus anderen Sprachen in die deutsche Sprache liegt Deutsch ohnehin an erster Stelle [9]), könnten wir das Potenzial einer wachsenden Zahl von derzeit tätigen Fachkräften (und gemeint sind hier nicht nur die Wissenschaftler!) in den Ländern mit Deutsch als Muttersprache schon dadurch verlieren, weil sie die Errungenschaften von Wissenschaft und Technik NICHT lesen können.

Gleichzeitig kann man sich jedoch - ziemlich sicher nicht mit kurzfristig durchschlagendem Erfolg - bemühen, die deutsche Sprache wieder vermehrt als Sprache der Technik und Wissenschaft zu (re-) etablieren. Wenn schon nicht für die ganze Welt, dann vielleicht für einige Regionen Europas.

Aus- und Weiterbildungsgänge, Fachtagungen, Seminare und Vortragsveranstaltungen könnten dazu wieder vermehrt als Veranstaltungssprache Deutsch einsetzen; vor allem dann, wenn der überwiegende Teil der Teilnehmer und Vortragenden Deutsch spricht und versteht.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Weltweite Wissenschaft und Wirtschaft benötigen eine „einheitliche Sprache“ und diese ist derzeit Englisch - auch für mich steht das außer Frage. Deshalb gilt es die eigenen Englischkenntnisse laufend zu verbessern; darauf sollte keinesfalls vergessen werden.

Literaturhinweise

[1] … Wittgenstein, Ludwig; Tractatus Logico-Philosophicus, 1922; Ludwig Wittgenstein Projekt, https://www.wittgensteinproject.org/w/index.php/Logisch-philosophische_Abhandlung; zuletzt abgerufen am 29.4.2025

[2] … Klein, Stefan; Dümmer auf Englisch; https://www.stefanklein.info/node/52; zuletzt abgerufen am 29.4.2025

[3] … Turns, Anna; Climate science is getting lost in translation; https://theconversation.com/climate-science-is-getting-lost-in-translation-241821; zuletzt abgerufen am 29.4.2025

[4] … Konfuzius (551–479 v. Chr.); Chinesischer Philosoph; zitiert nach: Fackelmann, Bettina; Legitim? Herrschaft durch Sprache in Politik und Wissenschaft; https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/179349/legitim-herrschaft-durch-sprache-in-politik-und-wissenschaft/; zuletzt abgerufen am 29.4.2025

[5] … Krause, Kai; Das Unbestimmtheitsprinzip; veröffentlicht in: John Brockman (Hrsg.); Welche wissenschaftliche Idee ist reif für den Ruhestand; S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2016; ISBN 978-3-596-03395-0

[6] … Gemeint ist hier die von Werner Heisenberg gefundene Unbestimmtheitsrelation, als eine der fundamentalen Beziehungen der Quantenphysik. Die fachlichen Diskussionen wurden seinerzeit in deutscher Sprache geführt (Einstein, Pauli, Schrödinger, Bohr, …). Die Theorie wurde jedoch in englischer Sprache verbreitet.

[7] … Crystal, David; English as a Global Language; Cambridge University Press, New York; 2003

[8] … Index Translationum; UNESCO; https://www.unesco.org/xtrans/bsstatexp.aspx?crit1L=4&nTyp=min&topN=50&lg=0; abgerufen am 18.5.2025

 

Autor: Alfred Mörx; E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein. 

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Bildquelle: Bild von Gerald Altmann über Pixabay

 

 

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